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In einem beliebten Café in Bamberg stand auf der Speisekarte zu lesen: „Sie wollen ihren Kaffee mit Fair Trade Cafébohnen genießen? Gegen 50 Cent Aufpreis bereiten wir Ihnen den gerne zu.“

Meine Begleiterin neben mir am runden Tisch echauffierte sich: „Was für eine Dreistigkeit. Das finde ich ganz schön arrogant. Die lassen dir die Wahl. Wenn du dich, ich sag das jetzt mal so, für fairen Kaffeeanbau einsetzen möchtest, kannst du das gerne tun. Uns ist es scheißegal.“

„Eigentlich ein sehr schlechtes Konzept, das so an den Kunden zu transportieren“, gab ich zurück. „Damit erreichst du doch eigentlich nichts anderes, als dem Kunden klarzumachen, dass du dir über die Zukunft des Planeten keine Gedanken machst. Im Gegenteil, du bist sogar arrogant und fügst hinzu, dass es dich nicht stört, wenn die anderen sich Sorgen machen.“

In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass es stets die Aufgabe des Chefs sein sollte, sich seine Gedanken zu machen über das Konzept, das nach außen dein Bild (der das deiner Firma) repräsentiert. Und das gilt meiner Meinung nach gleichermaßen für ein Café, wie für, sagen wir mal, den Autoren eines Buches. Weil ein Autor sich absolut mit dem Gefühl herumschlagen muss, das seinen Leser beschleichen könnte. Der Leser legt ein angefangenes Buch weg, weil ihm Details mißfallen. Damit ist es durchgefallen. Der Zuschauer einer Serie schaltet diese aus und sieht sie sich nicht bis zu Ende an. Das ist der Albtraum eines jeden Autoren oder Drehbuchschreibers, doch bei der großen Menge an Unterhaltungsangebot kommt es leider häufig vor.

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Mir kommt der Thriller „Ghost Flight“ von Autor Bear Grills in den Sinn. Da gibt es eine Szene, in der stehen sich die Bösen und die Guten gegenüber. Die Bösen haben feuerspeiende Helikopter, die Guten fliegen in einem Luftschiff. In der Szene, die ich meine, wollen es die Bösen erreichen, dass die Guten ihre Route ändern, damit sie ihrer habhaft werden können. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, drohen die Bösen mit der Ermordung von Menschen. Das tritt dann auch ein. Die Bösen werfen Menschen aus dem Helikopter. Doch die Guten bleiben standhaft und ändern die Route nicht. Für den Leser ist diese Szene beinahe unerträglich. Sie kommt nahe an die Belastungsgrenze dessen, was auch dem wohlmeinendsten Leser zuzumuten ist.

Diese Szene ist wegen des Maßes an Grausamkeit, der an reale Ereignisse des Vietnamkrieges erinnert, oder zumindest an Szenen, die Filme in uns wachrütteln, Grund genug, das Buch wegzulegen. Die Szene steigert die Dramatik so weit, dass am Ende nur noch eine Person aus dem Helikopter geworfen werden kann, eine bis dato im Roman positive und beliebte junge Frau. Du als Leser denkst, wenn die jetzt auch noch geopfert wird, leg ich das Buch sofort weg. Doch der Autor ist nicht dumm, er begeht nicht diesen Fehler an seinem Publikum. Die Hauptdarstellerinnen überlebt.

Im Roman fällt dem Hauptdarsteller im letzten Moment ein Trick ein, um das Leben der jungen Frau zu retten.

In einer anderen Serie, die ich vor Jahren sah, als es noch kein Netflix gab, ist das passiert. Da starb die Vertraute des Hauptdarstellers auf so enttäuschende Art und Weise, dass ich Dexter nach vier gesehenen Staffeln nie mehr angerührt habe. In dieser Serie soll jetzt eine neue Staffel gedreht werden. Ohne mich. 

Es war zu schlimm. Ein Weiterleben schien mir unmöglich. Für Dexter und für mich als Zuschauer. Aber Bear Grills in Ghost Flight begeht diesen Fehler nicht. Im Roman fällt dem Hauptdarsteller im letzten Moment ein Trick ein, um das Leben der jungen Frau zu retten. Und das ist Ausgewogenheit.

Im Buch Flow und Kreativiät erklärt der kanadische Schriftsteller Robertson Davies die Haltung eines Schriftstellers. „Es ist viel leichter, tragisch als komisch zu sein. Ich kenne Menschen, die sich an eine tragische Lebensanschauung klammern und sich dahinter verschanzen. Sie finden einfach alles entsetzlich und grauenvoll, und das ist nicht leicht. Wenn man sich um eine etwas ausgewogenere Sicht der Dinge bemüht, offenbart sich die ganze überraschende Vielfalt von komischen, mehrdeutigen und ironischen Aspekten des Lebens. Und diese Sichtweise halte ich für das Entscheidende bei einem Schriftsteller. Einen todtraurigen Roman zu schreiben ist relativ einfach.“

Diese Kritik von Robertson Davies gilt nicht nur für den literarischen Bereich, sondern weit drüber hinaus. Auch in der Kreativität an sich ist es leicht, bloßzustellen, zu entlarven, herabzusetzen, auseinanderzupflücken und zu rationalisieren, ohne echte Freude im Leben wirklich zur Kenntnis zu nehmen. All das macht uns aber blind für die wichtigste Botschaft, so der Autor des Buches, Csikszentmihalyi, die lautet: Kreative Menschen sollten Vermittler sein von Sinn und Freude im Chaos der Existenz.

„Ich will keine Arbeit sehen, die vielleicht unglaublich ist, aber nirgendwo hinführt.“ Ed Kashi

Der amerikanische Fotojournalist Ed Kashi, den ich für mein Projekt über die Ethik im Photojournalismus interviewen durfte, sagt dasselbe im Gespräch, bezogen auf die Art, wie guter Journalismus gemacht werden sollte. „Ich will keine Arbeit sehen, die vielleicht unglaublich ist, aber nirgendwo hinführt. Es gibt zu viele Fälle, in denen bestimmte Projekte enorme Auszeichnungen erhalten, aber sie tragen nichts zum Dialog über dieses Thema bei oder weisen auf irgendeine Art auf eine Lösung hin. Und für mich ist das an diesem Punkt nicht genug. Ich nehme an diesem Spiel nicht nur aus persönlichem Ruhm oder Gewinn teil. Ich möchte Projekte schaffen, die einen Unterschied machen. Und das geschieht, indem ich ein Thema oder ein Problem finde und es durch meine Fotografie und visuelle Erzählung beleuchte, aber dann auch eine mögliche Lösung hervorhebe, einen Weg zur Verbesserung dieser Situation.“

Und das gilt auf eine bestimmte Art auch für ein Bamberger Café, das eine Vorreiterrolle haben könnte, was Kaffeegenuß und -Konsum angeht. Anstelle es dem Kunden hinzuschieben und zu sagen, hier, mach du, wenn dir Fair Trade etwas bedeutet. Man könnte zum Beispiel den Ort des Kaffeehauses nutzen, um die Geschichte eines Kaffee-Bauern zu erzählen, um über fairen Handel nachzudenken und so die Gäste ermuntern, sich selber zu engagieren. 

Es ist ein weiter Weg von der unkritischen Konsumhaltung zum selbständigen Denken und Handeln, aber gehen sollten wir ihn alle.

 

Zusätzliche Informationen:

Ethik im Fotojournalismus Podcast

Podcast des „Fotograf mit Zweifeln“

Website: www.doubtingphotographer.com

Questions about ethics in photojournalism Today we know that it is the images that create reality. The work „a doubting photographer“ takes the reader on a journey to the questions of ethics in photojournalism, photography and the media.

Facebook: https://www.facebook.com/adoubtingpho…

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Las personas vivimos inmersas en un mundo esencialmente fragmentado, en el cual cohabitan diferentes realidades socioeconómicas, espacios físicos e incluso momentos vitales efímeros que no paran de reproducirse y de diversificarse. Podríamos considerar esta tendencia como un profundo desajuste de la relación natural que las personas hemos mantenido y mantenemos con el mundo. Un mundo que bajo el auspicio de la tecnología se ha convertido en un inmenso vertedero de laboratorios dónde desenvolver y fundamentar nuevas identidades y generar subproductos capaces de ocasionar cambios en nuestro entorno.

La construcción de identidades propias, respetadas, autónomas y fuertes constituye la esencia de nuestra existencia. En la actualidad las personas nos dotamos de un sin fin de identidades expansibles i capaces de ser remodeladas. La vida puede superar la frontera y el límite de su identidad y puede proyectarse hacia el exterior, más allá, hacia el diferente. De aquí nace la profunda necesidad de integrar el uno y el otro, la sístole y la diástole.

En su doble lectura este trabajo audiovisual ofrece, tanto en el desarrollo como en su final, un persistente y perturbador duda, que no acaba de desvanecerse y que el espectador se llevará a casa: No siempre la realidad puede ser evidenciada y medida. En nuestra sociedad existe una fijación en la búsqueda de la identidad con múltiples identificaciones. Vivimos en la sociedad de la imagen, de modo que cada vez as más difícil distinguir lo que es verdad de lo que es mentira, lo que está bien y lo que no. Lo válido y lo que no nos sirve.

Ser capaz de interpretar y traducir la enorme complejidad de la vida; atreverse a traspasar estas tierras de penumbra, de dolor y de muerte. Sólo así podemos decir que hemos vuelto a morir a la vida.

FICHA TÉCNICA:

IDEA ORIGINAL:
Pol Vancells y Björn Göttlicher

PRODUCCIÓN Y EDICIÓN:
Björn Göttlicher

AUDIO:
Pol Vancells y Björn Göttlicher

TEXTO:
Pol Vancells

MÚSICA:
Vicente Rodríguez
Dark Dreams Project Productions – The fight (Overture to the fight)

Aditional footage: Youtube

 

Mädchen beim Selfie. ©Göttlicher

 

Als Fotograf und aufmerksamer Beobachter mache ich mir meine Gedanken zur Geschichte der Fotografie und dem Moment, in dem wir uns befinden. Hier an dieser Stelle soll es um die Bilderflut gehen und um die Möglichkeiten, die Fotokünstlern gegeben sind, sich damit auseinanderzusetzen.

Als ausgebildete Fotografen (ich spreche für mich und andere) sehen wir uns selbst nicht gerne als Teil der Bilder produzierenden Masse, obwohl wir uns sehr wohl bewusst sind, dass die Qualität, auf die wir so viel Wert legen, zunehmend von weniger Menschen wahrgenommen und wertgeschätzt wird. An ihre Stelle tritt die visuelle Flut, die Überflutung in allen Bereichen des Lebens, die uns sogar bis nach Hause verfolgt. Die Bilder haben sich längst gegen uns gewandt und das ist ein Konflikt, so unaussprechlich und schwierig er auch sein mag. Früher ging man zu Fotografen, um sich fotografieren zu lassen, heute hat man die Kamera immer dabei und unsere Bilder kommen zu uns. Es ist an der Zeit, sich Gedanken zu machen über Strategien der Resistenz, will man die Kamera nicht bewusst beiseite legen.

Fotografin am Meer. ©Göttlicher

Früher war es die geistige Elite der Priester, die die Bilder herstellte. Dann kamen die Künstler, die es in deren Auftrag taten. Zu Beginn der Fotografie war die Handhabung der Technik sehr kompliziert und Spezialisten überlassen. Im Jahre 1889 entwickelte George Eastman den viel zitierten Spruch „you press the button, we do the rest“, womit der Demokratisierung der Fotografie Tür und Tor geöffnet wurde. Als erstes fotografierten die Menschen im privaten Bereich, bei Festen oder Hochzeiten und machten sich extra dafür schick. Heute sind wir alle Fotografen, Bild-Produzenten und Konsumenten. Nie war es leichter, Fotograf zu sein, nie war weniger schulische Ausbildung dafür vonnöten. Das Ergebnis ist, dass von mehr als 7 Milliarden Menschen mehr als 2 Milliarden ein Smartphone besitzen und viele damit auch eine Kamera.

Auf Facebook werden jede Sekunde circa 3000 Fotos hochgeladen. Das entspricht 350 Millionen Fotos täglich. Insgesamt wurden bislang mehr als 250 Milliarden Fotos auf Facebook hochgeladen.

Instagram hat weltweit 400 Millionen User, 9 Millionen davon sind Deutsche. Diese User bislang etwa 40 Milliarden Fotos hochgeladen, das bedeutet etwa pro Tag 80 Millionen (eine andere Quelle spricht von 20 Mio). Wie viele Fotos täglich auf Flickr hochgeladen werden scheint da irrelevant, auch weil dieser Service demnächst kostenpflichtig wird, und sich da die User abwenden könnten, denn nur was umsonst ist, ist auch gut. So sieht es ja die Mehrheit der Fotografen, obgleich sie diese visuelle Freiheit des Hochladens von Food-Porn oder Strand-Füßen mit dem Verlust der Freiheit im Netz erkauft hat. So oder so kommt es zur Bild-Verschmutzung, zur visuellen Verstopfung.

Fotograf im Stadion ©Göttlicher

Ein Künstler hat einmal ausgerechnet, dass bei der Menge an Bildern, die pro Tag hochgeladen werden, ein Mensch 49 Jahre brauchen würde, um sie sich anzusehen. Absurd, denn natürlich sind diese Bilder ja nicht an nur einen Menschen gerichtet. Dennoch, wir haben heute alle mehr Bilder gesehen als unsere Vorfahren in ihrem ganzen Leben. Macht es da wirklich Sinn, weiterhin Bilder zu machen ? Ist es nicht die Abstinenz, die jetzt wichtig ist ? In einem Moment sensibler Reflexion würde doch jeder von uns zu der Erkenntnis gelangen, dass es viel wertvoller ist, einen Sonnenuntergang am Strand bewusst zu geniessen, als ihn wie alle anderen auch mit dem Smartphone einzufangen und sogleich hochzuladen, nur um ihn der schon existierenden Masse an Sonnenuntergängen hinzuzufügen, oder etwa nicht ?

Betrachtet man aufmerksam die Handlungen der Menschen, so fällt einem auf, dass sich das Handlungs-Schema von Zuschauern völlig gewandelt hat. Während noch vor 10 Jahren Zuschauer einfach Zuschauer waren, so sind sie heute allesamt Teilnehmer und fotografieren mit dem Smartphone über den Köpfen der anderen hinweg. Die digitalen Bildschirme haben die Menschen verwandelt, sie werden zu Spiegeln ihrer Existenz. Das Fotografieren einer Situation ist wie das „Nicht-an-ihr-Teilnehmen“ geworden, da sich die fotografierende Masse zunehmend passiver verhält. Hier ergeben sich künstlerisch-paradoxe Szenen für aufmerksame Beobachter. Es kommt zu Fotos von Menschen, die sich beim Fotografieren fotografieren. Es kommt zu ungewohnten Gruppenportraits von fotografierenden Fotografen, die alle auf ein Motiv starren. Dieses kann vielleicht ein Modell sein, ein Promi oder ein Rockstar, seine Bedeutung ist aber herabgesetzt. Es geht nicht mehr um das Motiv, es geht um die Teilnahme, um das Dabeisein und es Dokumentieren im Sinne des Narzis, wobei das Motiv nurmehr der Grund dafür ist, der Anlass.

Meine Serie „Amadeus Garden“

Man sollte mal zählen, wieviele Menschen auf Gruppenaufnahmen fotografieren. Da kommt der Archivar ins Spiel, der Künstler, der dem Ganzen eine neue Ordnung verleihen will. Der Künstler, der sich dann die Mühe macht, die fotografierenden Menschen zu zählen oder zu klassifizieren oder zu verfolgen, da sie sich für ihn zum Motiv entwickeln. Arme Welt ! Aber vielleicht ist genau das eine neue Tendenz in der Fotokunst, das Massifizieren, das Sammeln, das Archivieren. Genau wie in den 90ern das Vergrößern die Mode war. Alles wurde in der Fotokunst riesengroß, ich nenne Thomas Ruff mit seinen Portraits als Beispiel. Die Sammlung als eine Art Hyper-Akkumulation. Die Masse als Grund, das sich der Betrachter dafür interessiert. Viele Künstler fotografieren jetzt Objekte in Museen ab, von klein zu groß, von verstaubt zu vergrößert. Eine neue Form, Ordnung in die Welt zu bringen mit Hilfe der Fotografie. Sammlungen von Objekten werden so zu Ready Mades im Sinne Duchamps. Das Kuriositätenkabinett als Archiv, geordnet nach neuen visuellen Kategorien, wie Form, Farbe, Größe.

Sammlungen von Objekten werden so zu Ready Mades im Sinne Duchamps.

Alles Fotografen heute ©Göttlicher

Objekte bekommen so eine neue Bedeutung, wenn sie erst gesammelt werden und dann mit einer Erklärung versehen. Wie die Bilder der Molotov Cocktails von Donald Weber. Einfach vor weißem Grund abfotografiert als Objekte. Bier- und andere Flaschen mit brennbaren Tüchern darin. Verwendet auf dem Maidan bei den Demonstrationen in der Ukraine. So wird die Erinnerung der Objekte zum Ausdruck des Protestes. Andere Beispiele für das neue Arbeiten mit existierendem Bildmaterial ist das Werk von Penelope Umbrico, Sunset, wo die Künstlerin Unmengen an Sonnenuntergängen von Flickr zusammengestellt hat oder Erik Kessels Projekt Black Dog, wo der Künstler in sehr witziger Weise alte Familienbilder darstellt, der er gefunden hat und in denen immer wieder ein schwarzer Hund abgebildet ist, der möglicherweise zur Trennung des Paares beigetragen hat, weswegen seine Bilder schließlich im Müll landeten.

Obgleich man sich mit gesundem Menschenverstand manchmal fragen mag, welcher Sinn darin liegt, 250.000 unzusammenhängende Bilder zu machen (so wie das ein Künstler macht, deren Name mir grade nicht einfällt) oder Sonnenuntergänge zu sammeln, wie Penelope Umbrico. Will die Künstlerin Aufmerksamkeit erregen für die Bilderflut ? Ich denke, sie hatte Spass dabei und will den Menschen nur die Möglichkeit anbieten, für sich selbst zu Hause schöne Selfie-Hintergründe zu basteln, wenn man mal nicht in den Urlaub fahren kann. Denn wer verbietet es einem, ihr Werk nachzubauen, wo sie selbst als Künstlerin ja auch keine Probleme hat mit dem Verwerten von Bildern anderer, die damit aber allesamt einverstanden waren (ohne es zu wissen).

Göttlicher in einer Camara Obscura ©Göttlicher

Werk von Joan Fotcuberta im öffentlichen Raum in Barcelona. Das Bild mit dem Kuss zweier Frauen besteht aus Tausenden Einzelbildern und dient vielen Touristen als Selfie-Hintergrund.

Einen Künstler, der mit Fotografie arbeitet, treibt häufig der Gedanke um, alles sei schon getan. Alles sei schon fotografiert, alles sei schon gesehen, nichts ist wirklich mehr neu oder originell. Gibt es einen Weg aus diesem Dilemma ?

Der Künstler Joan Kenning gibt in seinem Video Vermödalen – The fear that everything has already been done eine Antwort, die vielleicht weiterhilft: Ja und nein. Die Bilder, die von uns Menschen produziert werden, handeln von dem, was wir tun. Sie handeln von unseren Familien, von unseren Festen, von unseren Gesichtern, von unseren Füssen am Strand. Sie handeln vom Blick aus dem Flugzeug, von geliebten Menschen oder von was auch immer. Dabei gilt es festzuhalten, dass die Menschen sich durchaus ähneln in dem, was sie machen, in der Art, wie sie lachen, aus dem Fenster schauen oder ihre Füsse ans Wasser halten.

Das ist einfach so, und die Bilderwelt, in der wir leben, zeigt es uns jeden Tag aufs Neue. Doch dabei sind die Menschen auch genauso individuell, unterschiedlich und verschieden, ebenso wie Schneeflocken, die herabrieseln und bei denen auch keine der anderen gleicht, auch wenn es alles Schneeflocken sind.

Ebenso sind unsere Bilder verschieden, sie gleichen sich zwar von den Motiven her, aber verschieden sind sie doch. Zum Glück für uns sind wir wie die Schneeflocken und der Reichtum der menschlichen Rasse liegt genau darin. Bitte mich jetzt nicht falsch verstehen, ich habe heute Nacht nicht Paulo Coelho gelesen und keiner muss jetzt auf Pilgerfahrt. Das sind vielmehr Gedanken, die Fotokünstlern gekommen sind, die sich viel mit Bildern beschäftigen.

Als die Fotografie im Jahre 1839 erfunden wurde, galt das neue Medium noch als Wahrheit, als eine eins zu eins Übersetzung der Realität, die die Welt repräsentierte.

Bis dato war es die Malerei, die ja für ihren subjektiven Gestus bekannt war. Eine Hand hielt einen Pinsel an eine Stelle auf einer Leinwand und so entstand nach und nach ein Abbild, das mit der Realität oft wenig zu tun hatte, das sahen auch die Zeitgenossen damals so.

Die neu entdeckte Maschine, also die Fotografie, ersetzte die Technik des Malens, das langsam und ungenau war. Was fotografiert wurde, existierte. Was sich vor der Kamera befand, war real. Heute sehen wir die Beziehung der Fotografie zur Realität kritisch. Wir haben erkannt, dass das Medium Fotografie durchaus in der Lage ist, sehr subjektive Standpunkte zu vertreten. Kaum einer wird heute noch behaupten, die Fotografie sei wirklich ein Abbild der Realität, wenn doch, klicken Sie bitte hier!

Die Rolle des Realitätsvermittlers hat heute, z.B. Google übernommen. Somit hat Google von der Fotografie die Aufgabe übernommen, uns die Realität zu zeigen. Was in Google nicht auffindbar ist, lässt uns leicht an dessen Existenz zweifeln. Das sind die metaphysischen Auswirkungen der Zeit, in der wir leben. Die Sensation unserer Existenz hängt ab von Algorithmen.

Gedanken zum Handeln des jungen Fotoreporters.

Der Künstler Joan Fontcuberta hat durch die Reflexion über das Mosaik, das schon bei den Römern Verwendung fand, den Weg zu Google gefunden und zu den Möglichkeiten, die sich durch Google für die Fotografie bieten. Während in der analogen Fotografie das Bild durch Licht auf Papier aufgetragen wurde, ähnelt die digitale Fotografie viel mehr der klassischen Form der Narration, in der viele kleine Teile zu einem großen Ganzen zusammengetragen werden. In der Geschichte der Malerei war das auch schon der Fall, man betrachte nur den Impressionismus oder den Pointillismus.

Joan Fontcuberta „The Con“

Der Entwickler Robert Silver erfand ein Programm zur Kreation des Photomosaics, bei dem er Fragmente des Bildes mit Bildern aus Datenbanken ersetzte und diese nach Analyse von Tonwert und Farbe zu einem neuen Bild zusammensetzte. Fontcuberta schließlich erschuf in seinem Werk etwas Besonderes, indem er bei seinen Kreationen mit dem Paradox der Gegensätzlichkeit arbeitet und seine Motive mit entgegengesetzten Worte und Begriffen auffüllen lässt.

Zum Beispiel das Bild eines Obdachlosen, unterlegt mit Tausenden von Bildern der reichsten Männer der Welt, in dem er beim Auffüllen in den Programm deren Namen als Stichwortsuche eingab. Sehr spannend. Ein bekanntes Bild von Abu Graib, „The Con“, unterlegte er mit den Bildern der Namen von Soldaten, die bei den Misshandlungen dabei waren. Das ist in meinen Augen auch eine Form von künstlerischem Aktivismus.

Hier geht es zu meinem Projekt über die Ethik „Like a Coat of rain“

Ikone Marylin Monroe als Restaurant-Werbung © Göttlicher

Was ist eine Ikone? Was ist eine Foto-Ikone? Und was ist Ikonophobie? Hat hier heute irgendwer irgendwas gegen Bilder? In einer Zeit, in der pro Tag auf Instagram 20 Millionen Bilder hochgeladen werden, scheint das doch völlig abwegig. In diesem Artikel schauen wir uns das mal an.

Bei Ikonen denken viele von uns doch sofort an die schön gemalten Heiligenbilder der griechisch- oder russisch-orthodoxen Kirche, die so einen schönen Goldgrund haben. Mit Goldgrund ist der Hintergrund der Ikonen gemeint, der sie charakteristisch macht. Ein derartiger Gold-Hintergrund findet ansonsten in der Kunstgeschichte kaum statt, ein Alleinstellungsmerkmal der Ikonen, die überdies auf Holz gemalt sind. Der Sinn der von der orthodoxen Kirche geweihten Ikonen ist es, Ehrfurcht zu wecken und eine Art existenzielle Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Abgebildeten herzustellen, also zwischen dem Betrachter und Gott. Als Kunstgegenstände oder als bloße Dekoration werden sie im Kontext der Kirche nicht angesehen. Soweit man weiss, gibt es in koptischen Ikonen sogar Einflüsse altägyptischer Kunst, womit man Ikonen grundsätzlich ein hohes kulturgeschichtliches Alter unterstellt.

Wortgeschichtlich liegt dem Wort Ikone das altgriechische Wort εἰκών (eikṓn) zugrunde, was soviel bedeutet wie „Ebenbild, bildliche Darstellung“. Und bildlich dargestellt wurden auf Ikonen die Gottesmutter, das Jesuskund, Jesus als Erlöser oder etwa Apostel. Dabei steht die Ikone auch in enger Anlehnung an das Wort Idol, welches aus dem griechischen Wort eídolon abgeleitet wird, was soviel heisst wie „Gestalt, Bild, Götzenbild“. Das Götzenbild, konkret das eines Stiers, ist auch verantwortlich für den ersten im christlichen Abendland bekannt gewordenen Bildersturm. Als Moses den Menschen die Zehn Gebote präsentieren wollte, die ihm sein Gott übergeben hatte, fand er seine Glaubensbrüder beim Tanz um das goldene Kalb vor, was ihm gar nicht behagte, so dass er es zerstörte und die Zehn Gebote gleich mit. Steht jedenfalls so im Alten Testament. Der Bildersturm galt damals einem Idol, einer Statue. Aber wir wissen ja jetzt, das griechische Wort „eídolon“ bedeutet ja auch „Bild“, wir bleiben also beim Thema.

Logo meines Projektes „Das Dilemma der Fotografie“ über die Frage der Ethik ©Sergi Gor

Moses repräsentierte einen Gott, der nicht abgebildet werden wollte, der sich zu der damaligen Zeit höchstens gelegentlich in einem brennenden Dornbusch zu zeigen pflegte, er war da wohl ein wenig eitel. Gott selbst war somit der erste Vertreter eines Bilderverbotes. Das Abbildungsverbot wendet sich gegen den Vorgang der Darstellung als solchen, gegen die angeblich existierende Gefahr der Vergötzung (eines Idols), und kann sich richten gegen Götter, Götzen, Propheten, Heilige oder Geschöpfe allgemein. Die Idee des Bilderverbotes entspringt dem Monotheismus und richtet sich gegen die Gefahr der Rückkehr polytheistischer Religionen, die ja dem Ein-Gott-Glauben vorangegangen waren. Angefangen hat damit wohl tatsächlich Moses, obgleich die erste monotheistische Religion gab es wohl in Ägypten in der Regierungszeit des Pharao Echnaton. Der hatte sich selbst zum Sonnengott erklärt, den es anzubeten galt. Damit hatte er allerdings die Gefühle der Priester-Kaste verletzt, die nicht lange zögerten und seine Abbilder von Reliefs und Wänden umgehend entfernten, nachdem Echnaton das Zeitlich gesegnet hatte. Die Priester machten damals einen „Echnaton-Bildersturm“, und womöglich hat das kaum länger gedauert als bei Präsident Trump, der ja auch in Windeseile alles rückgängig gemacht hat, wofür Präsident Obama lange gekämpft hat.

Letzten Endes kann man wohl sagen, dass das Kreuz zur Ikone des Christentums geworden ist, mit dem Abbild eines gekreuzigten Christus vorne drauf, was viele kritische Geister an sich ziemlich brutal finden. Vorher gab es ja auch das Symbol des Fisches als Erkennungszeichen des frühen Christentums, das sich als Ikone aber nicht durchgesetzt hat. Was sind nun die Ikonen von heute?

Marylin Monroe, James Dean, Che Guevara, Albert Einstein fallen einem da als erstes ein.

Eines der bekanntesten Bilder von Che Guevara stammt vom Fotografen René Burri, der als Zeitzeuge in Interviews oft gefragt wurde, wie gut er den Che Guevara denn kannte. Er kannte ihn außer beim Porträt-Termin gar nicht und erlebte ihn als unfreundlich, berichtet er in einem Interview. Das bekannteste Bild des Revolutionsführers stammt allerdings von Alberto Korda und ist bis heute das am meisten gedruckte Foto der Welt. Das Bild hat so starke Symbolkraft, dass auch heute noch viele fürchten, das Konterfei des Che Guevaras könnte zum Vorboten neuer revolutionärer Strömungen werden. Das macht es auch zu meistgehassten und meistgeliebten Idol der Welt, sagte René Burri.

Der Filmregisseur Anton Corbijn schildert im Film „Life“ die Freundschaft zwischen dem jungen, schüchternen Filmstar James Dean und dem Fotoreporter Dennis Stock. Wer Gelegenheit hat, sich diesen Film anzusehen, der erfährt mehr über die Entstehung eines der emblematischsten Bilder der Geschichte Hollywoods und über den Jungschauspieler Dean, der früh starb. Ein wenig entmystifizierend, vielleicht auch eine Art privater Bildersturm. Ohne jetzt die Geschichte aller bekannten Pop-Ikonen hervorkramen zu wollen, läßt sich doch sagen, dass sich bestimmte Portraits in das Unterbewusstsein der Menschheit eingebrannt haben und immer wieder Verwendung finden, sei es nur auf T-Shirts. Und es ist das Medium Fotografie, das das Verehren bestimmter Vorbilder vereinfacht hat. Und es sind nicht nur Portraits, die sich zu Ikonen entwickelt haben, auch andere Genres haben Potential dafür, so zum Beispiel der Fotojournalismus.

„Das Dilemma der Fotografie“ Interview-Partner Ed Kashi, VII © Göttlicher

Es waren die Reportage-Bilder des Vietnam-Kriegs, die die amerikanische Öffentlichkeit dazu bewegt hat, lautstark gegen den Krieg zu protestieren, was letztlich auch dazu geführt hat, dass die Amerikaner sich aus Vietnam zurückzogen. Die Bilder wurden aufgenommen von Fotoreportern, die sich an der Front in Vietnam relativ frei und unbehelligt bewegen konnten und die fotografierten, was ihnen vor die Lise kam, also menschliches Leid auf beiden Seiten der Krieg führenden Parteien. Die Amerikaner zogen sehr schnell ihre Lehren aus diesen Bildern und änderten im Laufe der Folgejahre den Umgang mit professionellen Fotografen. Die Freiheit des Bildberichterstatters wurde zunehmend beschnitten.

Im Irak-Krieg zum Beispiel durften Fotoreporter mit den amerikanischen Soldaten nur dann an die Front, wenn sie „embedded“ waren, wenn sie vorab einen Vertrag unterzeichnet hatten, der ihnen haarklein vorschrieb, was sie fotografieren durften und was nicht.

So hat sich auch die Schöpfung von Foto-Ikonen verändert, die entstehen nun nämlich mehr im privaten Raum. Die bekannten Bilder aus dem irakischen Folter-Gefängnis Abu Ghraib stammen aus der privaten Foto-Sammlung von Soldaten, die ihre dort gemachten Erfahrungen über soziale Netzwerke mit der Umwelt teilten.

Übrigens verhalten sich die Schlächter der ISIS kaum anders als die Amerikaner, was den Umgang mit Bildern anbelangt. Soweit bekannt geworden ist, dürfen Fotografen im ISIS-Kontext fotografieren, wenn sie sich einer strikten ISIS-Kontrolle unterziehen, deren Missachtung für den Fotografen sicher grausame Konsequenzen hat. Welche Konsequenzen das Veröffentlichen von unauthorisierten Bildern im Kontext der US-Armee hat, ist sicher auch eine Überlegung wert. Wenn ein Fotograf ein Bild geschossen hat, das es zur Ikone bringen könnte, kann er ja immerhin abwägen, welche Konsequenzen ihm lieber sind, die eines eventuellen Fotopreises, der Ruhm und Ehre mit sich bringt oder die einer Anklage wegen Terrorismus oder Landesverrats (Mentale Note: Mal Noam Chomsky fragen).

Manipuliertes Bild vom Aufstellen der russischen Flagge in Berlin © Göttlicher

Aber klar, die Fotografie war schon immer auch ein Mittel der Propaganda. Beispiele dafür gibt es viele. Nur waren die Techniken der Bildmanipulation früher noch nicht so ausgefallen, wie sie es heute sind, in Zeiten des sich stetig verbessernden Programms Photohop. Das Aufstellen der russischen Flagge auf dem Reichstag in Berlin war nachgestellt, Stalin hat Zeitgenossen und Weggefährten auf Bildern entfernen lassen und die Nordkoreaner fügen bei Fotos von Raketentests gerne ein paar Raketen hinzu, damit es besser aussieht. Die Mächtigen sind sich heute mehr denn je der Macht der Bilder bewusst, weswegen sie es vorziehen, die Kontrolle darüber auszuüben. In Spanien hat die Regierungspartei PP letztes Jahr ein Gesetz erlassen, das es verbietet und mit drastischen Strafen ahndet, wenn man Fotos macht von Polizeikräften im Einsatz. Zum Beispiel bei Demonstrationen gegen Sparmaßnahmen. Somit soll auch das private Fotografieren mit Smartphones unterbunden werden, denn die Gefahr für die Mächtigen liegt ja in der schnellen Verbreitung durch das Internet.

Als Ikonophobie bezeichnet man die Furcht vor Bildern oder die Ablehnung von Bildnissen. In den Wissenschaften der Antike und des Mittelalters wurden Bilder ebenfalls noch abgelehnt oder geringgeschätzt. Die Wissenschaften trug zur Überwindung der Bilder-Angst bei. Heute sind sich die Regierungen vieler Länder über die Macht der Bilder bewusst und fürchten diese.

 

Vergrößertes Bild aus einer Ausstellung des World Press Award im Büro von Lars Boering © Göttlicher

Währenddessen suchen die angesehenen Fotopreise wie der World Press Award nach den Foto-Ikonen der Gegenwart. Ich habe Lars Boering, Chef des WPA in Amsterdam, für mein Projekt „Like a Coat of rain“ darauf angesprochen. Er meinte, dass sich die Juroren ja auch an irgendetwas halten müssten, weswegen sie ihre visuellen Referenzen gerne in der Kunstgeschichte, bei Malerei und bildender Kunst suchen. So waren einige der in den letzten Jahren ausgezeichneten Bilder durchaus als Referenzen zu verstehen. Allerdings ist das für Fotografen eher ein Glücksspiel. Kaum jemand ist spontan in der Lage, eine Foto-Ikone zu fotografieren, dazu gehört schon eine Portion Glück. Und was sich zur Ikone entwickelt, ist auch immer eine Frage des Moments und der Relevanz. Das Bild des toten Aylan am Strand gehört dazu. Viele Fotografen haben vorher und nachher Bilder von Emigranten und Flüchtlingen am Mittelmeer gemacht, darunter auch viele Bilder von Ertrunkenen. Aber die meisten dieser Bilder verschwinden in den Schubladen der Fotoredakteure oder bekommen höchstens mal ein Foto-Festival als Plattform, um vor einer größeren Zuschauermenge gezeigt zu werden. Das Bild von Aylan verbreitete sich dagegen über Twitter und es traf den Zahn der Zeit. Kurz danach öffnete Merkel die Grenzen.