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In einem Interview mit dem Bonner Autor und Kurator Klaus Honnef stellte ich die Frage, woher es käme, dass die Indianer in Nordamerika davon ausgingen, ein Foto würde ihnen die Seele rauben. Ich hatte von dieser Äußerung gehört und betrachtete die Frage primär als eine Art Provokation, um den Denkapparat von Herrn Honnef herauszufordern. Die Antwort, die er mir gab, überraschte mich. Sie regte mich zum Nachforschen an.

 

Er sagte: „Das sind Legenden. Ich kann sie weder verifizieren noch falsifizieren. Tatsächlich hat es immer wieder merkwürdige, vielleicht auch verständliche Bezugslinien zur Fotografie gegeben. Von den Indianern weiss ich es nicht“, sagte Klaus Honnef, „aber von Balzac weiß ich es, der sich ungerne fotografieren ließ. Er befürchtete, er würde sich in der Fotografie auflösen. Er ging von der Vorstellung aus, daß sich bei jedem fotografischen Akt eine Schicht seiner Haut von ihm lösen und auf das Bild übertragen würde. Wie man weiß, war er ein unglaublicher Empiriker. Er wusste, dass seine körperliche Verfassung endlich sei und befürchtete, daß bei zu viel Fotografieren er sich förmlich auflösen würde und dann nur in Bildern existieren würde.“

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Klaus Honnef ließ mich einigermaßen sprachlos zurück. Ich musste da erst einmal etwas mehr erfahren, um diese Sätze zu verstehen. Als der Franzose Honoré de Balzac diese Gedanken äußerte, befand sich die Menschheit im 19. Jahrhundert und die von Daguerre entdeckte Fotografie war dabei, die Welt zu erobern. Ebenso wie andere Neuheiten des Industriezeitalters, die Eisenbahn durch die Nutzbarmachung des Dampfdrucks, die Luftschifffahrt, das Pulver, der Kupferstich, war die Fotografie mit verantwortlich für eine Veränderung der Wahrnehmung im Menschen.

 

 

Thomas Alva Edison erfand das elektrische Licht, was den Menschen die Dunkelheit erhellte. Die Dampflock ermöglichte schnelles Reisen, doch verschwammen die Dinge im Sichtfeld des Passagiers, solch eine Erfahrung hatte man schlicht noch nie gemacht. Für den Zurückbleibenden wurde die vorbei rasende Lokomotive zum Schemen, zu einem verschwommenen Eindruck. Ungefähr höchstens vergleichbar mit der Langsamkeit der frühen Krieg der Sterne-Filme, die mein Sohn heute als ausgesprochen langsam und handlungsarm bezeichnet, veränderte sich in dieser Zeit auf vielfältige Weise die Wahrnehmung. Und an das Neue gewöhnte man sich danals eben langsamer als heute.

 

Honoré de Balzac schrieb derweil den Roman Vetter Pons und äußerte darin seine Kritik an dem neuen Medium der Fotografie, das er als gespenstisch bezeichnete. Für Balzac war die Fotografie eine Vorrichtung, um etwas zu bremsen oder einzufangen. Sie bilde eine Sache nicht eigentlich ab, sondern bringe nur ein Abbild zur Ansicht, eben eine Art Gespenst. Die lichtempfindliche Platte, das eigentliche Neue an der Fotografie, zwinge dieses Abbild zum Verweilen.

„Selber schuld!“ Hätte Honoré de Balzac womöglich gesagt.

Dieser Gedanke hat seinen Ursprung in der Antike. Dem griechischen Vorsokratiker Demokrit (etwa 460-370 v.Chr.) wird er zugerechnet. Dieser meinte, dass Körper feine Häutchen absonderten, welche auf den Augen anderer einen Abdruck hinterließen und so einen Seheindruck hervorriefen. Was ein wenig vorwissenschaftlich klingt, wird vom deutschen Philosophen Ernst Bloch als ein „dialektischer Haken“ bezeichnet, als eine verstehbare Reaktion auf die sich wandelnde Welt. Die menschliche Existenz sieht auch Balzac bedroht durch den Rausch der Geschwindigkeit und all die anderen Neuerungen des heraufziehenden Industriezeitalters.

 

Was Honoré de Balzac wohl dazu gesagt hätte, wenn man ihm zugetragen hätte, dass sich in unserer Zeit junge Leute zu Tode stürzen, da sie sich für ein Selfie zu nah an den Abgrund wagen, kann ich mir vorstellen. „Selber schuld!“ Hätte er womöglich gesagt. Und „Ich hab es ja kommen sehen.“ Der Bonner Autor Klaus Honnef fügte im Gespräch noch den Satz hinzu, den Marlene Dietrich zu Maximilian Schell gesagt hat: „Ich bin zu Tode fotografiert worden.“

 

Website: www.doubtingphotographer.com

Questions about ethics in photojournalism Today we know that it is the images that create reality. The work „a doubting photographer“ takes the reader on a journey to the questions of ethics in photojournalism, photography and the media.

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