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Teil 3 – Die Ambivalenz des Leidens

 

Matthias Krug, Bildredakteur des Hamburger Magazins „Der Spiegel“, erklärt mir im Interview, die Arbeit des Fotojournalisten habe großen Einfluss auf die Gesellschaft. Sie zeige Probleme auf, anstatt sie nur zu beschreiben.

Die Fotografie visualisiere Geschehnisse. Im Falle von Naturkatastrophen sähen die Menschen erst durch Bilder, was vor Ort passiere. Beim Thema Ebola zum Beispiel, sähe man erst durch die Fotos die grauenvolle Situation der Menschen in Afrika. Das sei eindringlicher, als wenn man es nur mit Worten beschreiben würde. Ähnliches gelte für Ausstellungen, die sich solchen Themen widmeten.

Fotos in Galerien, Museen, Magazinen, Zeitungen oder auf Online-Seiten verdeutlichten den Menschen gewisse Dinge. Das könne die Bereitschaft der Bevölkerung verstärken, Hilfsprojekte zu unterstützen.

Der Bonner Kunstkritiker und Ausstellungsmacher Klaus Honnef sieht es nicht ganz so optimistisch. Fotografie sei, wie alles, was die Menschen erfänden, ambivalent. Einerseits habe die Fotografie Aufklärungsarbeit geleistet.

Bilder hätten ihre eigene Qualität, uns anzufassen – uns zu berühren. Menschen spendeten deshalb für Kinder in Not oder Opfer des Krieges. Einerseits. Andererseits, und das läge daran, dass die Fotografie nicht nur solche Lichtbilder aussende, setzten Bilder in Krisenregionen Massen in Bewegung, die in Europa ihr Heil suchten und Asyl beantragten.

Sei es, weil sie verfolgt würden, sei es, weil es ihnen schlecht gehe: Die Fotografie sei „movens“, sie bewege in jedem Fall. Und sie habe dazu beigetragen, dass wir die Welt verzerrt wahrnähmen. Wir wüssten mehr als früher, wir kümmerten uns, aber wir hätten ein Bild von der Welt, das wir gar nicht mehr beherrschen könnten – dank der Fotografie und ihrem Nachfolgemedium, dem Fernsehen.

Obwohl es den Menschen in Nordeuropa gut gehe, empfänden viele hier ein großes Maß an Unsicherheit. Und das liege sicher auch an dieser verzerrten Sicht auf die Welt.

Außerdem, so betont Klaus Honnef, ziehe das Leid anderer die Menschen an. Weiterlesen.

 

 

Teil 2 – Meeri

Ausgangspunkt für mein Projekt ist die Frage, was sich durch Fotoreportagen über das Thema der weiblichen Genitalverstümmelung für die Menschen verändert hat. Dazu will ich die finnische Fotografin Meeri Koutaniemi und den spanischen Fotografen Kim Manresa besuchen, welche beide dieses Thema fotografiert haben. Ich will mehr herausbekommen über ihre Hintergründe, ihre Motivation und mir von ihren Erlebnissen erzählen lassen.

Bevor ich nach Finnland aufbreche, kann ich in der spanischen Hauptstadt Madrid mit Miguel González  sprechen, dem Chef der renommierten Fotografen-Agentur Contacto. Ich frage Miguel González, ob fotografische Geschichten überhaupt in der Lage sein können, in der Gesellschaft etwas zu verändern. Er nimmt sich Zeit für eine Antwort. Dann erläutert er mir, dass Fotografen oft durch die Veröffentlichung eines Themas dazu beitragen, dieses Thema für die Gesellschaft zugänglich zu machen. Und ja, die in einer Veröffentlichung angesprochen Themen können sich ändern.

Diese Veränderungen vollzögen sich extrem langsam, sagt González. Eine einzige Text- oder Fotoreportage wird allein sicher keine Veränderung hervorrufen. Aber sie ist durchaus in der Lage, den Grundstein dafür zu legen. Es gehe dann eben um eine Realität, die die Menschen bis dato nicht gekannt haben. Sie ist mit einem Male existent. Bekannterweise sei es ja der erste Schritt beim Lösen eines Problems, dieses erst einmal kennenzulernen und sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Genau da habe der Fotojournalismus seinen Platz und seine Berechtigung. Er kann fundamentale Elemente dazu beitragen, dass diese bislang unbekannte Realität eine Veränderung erfährt. Das geht nur Schritt für Schritt. Die Gesellschaft nehme diesen Wandel kaum wahr.

Miguel González sagt, es gehe nicht darum, die Gesellschaft zu verändern.

Weiterlesen.

Das Projekt:

https://www.riffreporter.de/fmz/

Teil 1 – Der Anfang

Teil 2 – Zu Besuch bei einer finnischen Fotografin

 

Teil 3 – Die Ambivalenz des Leidens

 

Teil 1 – Einleitung

Mein Name ist Björn Göttlicher. Ich arbeite seit 20 Jahren als Fotoreporter und habe in meinem Beruf einiges gesehen. Viele schöne Dinge, aber auch die Ungerechtigkeit in der Welt und das Leiden vieler Menschen. Das hat mich nachdenklich gemacht, und ich habe angefangen, Fragen zu stellen. Ich bin der Fotograf mit Zweifeln.

In meiner Koralle möchte ich Sie mitnehmen auf meine innere Reise zu den Fragen der Ethik in der Fotografie. Die begann bei einem Besuch eines Festivals für professionellen Fotojournalismus. Ich besuchte das „Visa pour l’image“, das angesehenste Festival Europas in Perpignan. Dort wurde bei der allabendlichen Projektion der besten Bilder des Jahres auch ein Preis verliehen. An eine finnische Fotografin. Sie heißt Meeri Koutaniemi. Das war aus zwei Gründen bemerkenswert. Erstens bin ich zur Hälfte Finne. Meine Mutter stammt aus Finnland, und wenn eine Fotografin von dort einen renommierten Preis überreicht bekommt, dann freue ich mich gleich doppelt mit ihr. Das war aber nicht der einzige Grund. Der andere lag in dem von Meeri gewählten Thema, für das sie den Preis bekam.

Die Finnin ist ausgezeichnet worden für eine kürzlich entstandene Schwarzweiss-Reportage  über das Thema FGM, Female Genital Mutilation, aufgenommen bei einem Stamm der Massai in Afrika. Ein schreckliches Verstümmelungs-Ritual, das nur in wenigen Ländern praktiziert wird. Ich wusste nicht viel darüber, doch was ich wusste, das hatte ich einer anderen Schwarzweiss-Reportage entnommen, die ich zehn Jahre zuvor in einer spanischen Zeitschrift gesehen habe. Ich erinnerte mich noch gut an den Namen des Fotografen, der diese Bilder  aufgenommen hatte. Er heißt Kim Manresa. Seine Fotos haben nach der Veröffentlichung hohe Wellen geschlagen, sie zeigten ein weinendes kleines Mädchen in ihrem unsäglichen Schmerz. Der Fotograf hatte das Kind, das er fotografiert hatte, angeblich später sogar adoptiert, so sehr ging ihm die Geschichte zu Herzen.

Das ließ mich ratlos dastehen. Meeri Koutaniemi, Kim Manresa. Zwei Fotografen, dieselben visuellen Dokumente des Grauens. Schwarzweiss, intim, erschreckend. Einem jungen Mädchen wird die Klitoris beschnitten, hier wie da zweimal dasselbe schmerzhafte Ritual. Beide Reportagen fotografiert in Afrika. Zwischen den zwei Geschichten liegen viele Jahre, das kann ich sehen. Aber was ist in der Zwischenzeit passiert?

Plötzlich sind sie da, die Fragen. Sie kommen aus dem Nichts. Sie steigen in mir auf wie Bläschen in einem Sprudel. Und sie verschwinden nicht mehr.

Bestimmt sind diese kritischen Fragen das Ergebnis meiner Berufserfahrung, das Ergebnis eines jahrelangen Hinschauens, das in meinem Beruf nötig ist. Aber ich empfinde sie als lose Enden. Sie müssen wieder zusammengefügt werden, sonst finde ich keine Ruhe. Ich muss jemanden suchen, der meine Fragen beantworten kann. Denn es geht im philosophischen Sinne um die Wirkung von Fotografie, von Bildern und Dokumenten.

Die Bildreporter, die ich kenne, lassen meist glaubwürdige bildnerische Dokumente entstehen, die in ihrer Direktheit und Härte von Lebensrealitäten künden, die uns durchaus unangenehm sind. Sie sind oft weit weg von unserer Wohlfühlzone. Worum geht es in der Fotografie für mich? Kann ich selbst einen Beitrag leisten, um die Welt ein Stück besser werden zu lassen? Oder ist das nur eine Illusion? Das ist der persönliche Ausgangspunkt meiner Reise. Jede Frage generiert eine weitere Frage. So entsteht der Weg meiner Reise zu den Fragen der Ethik.

Begleiten Sie mich auf meinem Trip durch die Welt der Fotografie! Die Ethik hat ihre eigenen Fragestellungen und durchaus spannende Antworten. So ist das in dieser Koralle realisierte Projekt, für das ich ein Stipendium der VG Bildkunst erhalten habe, nicht nur für Fotografen von Interesse. Es ist interessant für diejenigen, die häufig und gerne Bilder betrachten, die sich von ihnen provoziert fühlen und die die visuelle Sprache der Fotografie besser verstehen möchten.

Ich spreche mit Menschen, die diese Fragen beantworten können oder zumindest eine Meinung dazu vertreten. Und ständig habe ich meine Zweifel. Ist es anmaßend, wenn ich mich in die Arbeit anderer einmische? Aber da sind sie schon wieder, die Zweifel, die dieser Serie ihren Namen verleihen. Der Fotograf mit Zweifeln. Als erste Interviewpartner  versuche ich es bei der Finnin Meeri Koutaniemi und dem Katalanen Kim Manresa zuhause. Mal sehen, ob sie mir die Tür aufmachen. Aber dazu mehr im nächsten Video.

Das Projekt:

https://www.riffreporter.de/fmz/

Teil 1 – Der Anfang

Teil 2 – Zu Besuch bei einer finnischen Fotografin

 

Teil 3 – Die Ambivalenz des Leidens

 

Rentner Josef P. fand all die Bilder im Sand, die er schon verloren glaubte.© Göttlicher/Laufbursche [M]

Rentner Edgar G. fand all die Bilder im Sand, die er schon verloren glaubte. Bitte klicken Sie auf das Bild, wenn es sich nicht von selber bewegt. © Göttlicher/Laufbursche [M]

Grömitz, dopd

Eine beinahe phantastisch klingende Geschichte erreicht uns von einem Kurbad an der Ostsee. Hätten wir nicht den Bildbeleg, würden wir ihren Wahrheitsgehalt anzweifeln. Ein Mann hat seine Erinnerung im Sand wiedergefunden.

„Es war hier, genau hier an der Mole“, berichtet Rentner Edgar G. unserem Reporter am Ufer der Ostsee im sommerlichen Kurbad Grömitz. Edgar G. ist sehr aufgebracht und muss von seiner Enkelin gestützt werden, als er fortfährt. „Wir waren zu viert zum Strandspaziergang aufgebrochen, damals lebte mein Vater noch und das ist lange her. Vater trug seine analoge Fotokamera locker an der Schulter, doch plötzlich kam ein Windzug und riss sie ihm aus der Hand, samt Regenschirm.“ Die Geschehnisse, von denen Edgar G. berichtet, scheinen viele Jahre her zu sein, aber in seiner Erinnerung ist es, als wäre es gestern gewesen. „Die Kamera flog also in hohem Bogen ins Wasser und Vater hatte keine Chance, sie wiederzubekommen. Er war dann tagelang verärgert“, erinnert sich der alte Mann an die Urlaubstage seiner Kindheit.

„Die Geschichte ist zu schön, um wahr zu sein. Ich glaube eher an einen Lausbubenstreich“, sagt Hilmar Vogel, Sprecher der Grömitzer Kurverwaltung

„Genau auf den Tag 50 Jahre ist es her, dass wir hier waren. Nun gingen meine Enkelin und ich hier am Strand spazieren, so wie früher, und da sagt sie plötzlich zu mir: Schau mal Opa, da glitzert was im Sand!“ Enkelin Elisa bückte sich aus reiner Neugierde und hob ein Stück Film vom Boden auf. Dann sagte sie zu ihrem Opa, der schon einige Meter weitergelaufen war: „Opa, Opa, du wirst es nicht glauben. Hier auf den Stück Film kann ich Bilder sehen.“ Und tatsächlich. Bei genauer Betrachtung konnten Elisa und ihr Opa Fotos sehen, die entstanden und wieder verschwanden. Und sie zeigten Bilder aus Opas Kindheit, Szenen vergangener Tage, Bruchstücke der Erinnerung. „Es war, als hätte das Meer die Kamera des Vaters nach 50 Jahren wieder freigegeben. „Es ist ein Wunder“, sagt Opa Edgar sichtlich mitgenommen, „ich glaube ganz fest daran.“ Zweifel lassen allerdings nicht lange auf sich warten. Sie kommen in Form von Hilmar Vogel: „Die Geschichte ist zu schön um wahr zu sein. Ich glaube eher an einen Lausbubenstreich. Noch nie hat das Meer eine Kamera wieder ausgespuckt, die hineingefallen ist. Und schon gar nicht samt der entwickelten Bilder.“ Das seltsame Fundstück wurde im Anschluss an dieses Gespräch und gegen den Willen von Opa Edgar ordnungsgemäß der Kurverwaltung übergeben. Zwecks weiterer Prüfung.

 

 

 

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ES IST DAS MEDIUM FOTOGRAFIE, DAS DEN MOMENTEN WICHTIGKEIT GIBT. GÄBE ES DIE FOTOGRAFIE NICHT, WIE WÜRDEN WIR DANN EINEN MOMENT DEFINIEREN ?

Die Erfindung des Moments in der Kunst

Die Autorin Susanna Partsch beschreibt in einem Artikel ihres Buches Sternstunden der Kunst, wie das Bild „Die Barke“ des Impressionisten Edouard Manet entstand. Manet malte im Jahre 1874 seinen Malerfreund Monet beim Malen auf einem kleinen Boot mit Kabine, nahe dem Ort Argenteuil auf der Seine. Der um Jahre ältere Manet malte den jüngeren Monet in einem Augenblick mittäglicher Ruhe bei der Arbeit, wobei er die Malkriterien des flüchtigen Impressionismus einhielt.
Damals war der Impressionismus noch keine berühmte Kunstrichtung, sondern wurde von der Kritik nach der ersten Gemeinschaftsausstellung aufs übelste beschimpft. Der neuen Art des Malens wurde vorgeworfen, das Edle und das Schöne zu missachten, nach dem viele Künstler bis dato zu streben pflegten. Ein zeitgenössischer Kritiker beschrieb diesen Stil in einem Zeitungsartikel so: „Ist die Impression eingefangen, scheint ihre Arbeit erledigt. Sie sind Impressionisten, indem sie nicht eine Landschaft wiedergeben, sondern nur den von ihr verursachten Eindruck. “
Das war damals eine Beleidigung, doch in den Folgejahren setzte sich der neue Malstil durch. Auch Manet, dessen Bild „Die Barke“ die Programmatik der Impressionisten wie in einem Lehrstück bündelt, malte erstmals an der frischen Luft anstatt im Studio. Die Maler um Monet wollten die Farben des Moments in der Natur einfangen, den Augenblick im wahrsten Sinne des Wortes. Und Manet malte mit derselben Technik des Augenblicks den Moment des Malens bei Monet. Ein wenig verwirrend, aber nun zurück zu den Unterscheidungen in der Fotografie, die sich als Kriterien durch das Medium Kamera ergeben haben.

Der geplante Moment

Auf der Suche nach originellen Motiven kommen einem unterwegs allerhand Gedanken. Am Strand von Cala Salada nahe dem Ort San Antonio auf der Sonneninsel Ibiza gefiel mir die Perspektive vom Felsen auf die Bucht, aber mir fehlte das menschliche Element, um das Bild abzurunden. So fragte ich verschiedene Badegäste, ob sie den Sprung vom Felsen für eine Aufnahme wagen würden. Wenn man feundlich fragt, spielen die Leute dann auch mit und riskieren waaghalsig Kopf und Kragen vor der Kamera. Bei diesem Sprung erwischte ich das Mádchen genau im richtigen Moment, um mir die Leere auf der rechten Bildhälfte ausfüllen zu können. Leider muss ich zugeben, dass ich anstatt zu knipsen auch lieber gebadet hätte.

Das Warten wird belohnt

Bei den traditionellen Stierläufen im spanischen Pamplona warten die Fotografen oft schon Stunden vorher an den für sie festgelegten Plätzen, in der Erwartung, spektakuläre Momente direkt vor die Linse zu bekommen. Da wird dann auch unter den Fotografen verbissen um den besten Platz gerungen, ähnlich wie bei den lebensmütigen Stierläufern auf der Strasse. Doch in diesem Fall lohnte sich das Warten, denn ich bekam diesen einen, wenn auch nur sehr kurzen Moment, um meine Aufnahme zu machen. Nur durch die Kamera war ich später in der Lage, den Moment als solchen nachzuvollziehen.

Ein Bild erahnen

Meiner Meinung nach sind es intuitive Momente, die einen ein Bild im Voraus erahnen lassen. So zum Beispiel in diesem Einkaufszentrum in Dubai, wo ich zuerst auf die attraktive Frau (Bild links) aufmerksam wurde und sie unauffällig ein Stück begleitete, bis sich der passende Hintergrund für ein Bild bot. Manchmal ist es aber auch der Hintergrund, der einen anspricht (Bild rechts) und man braucht nur eine Weile zu warten, bis die richtige Ergänzung dazu auf der Bildfläche erscheint, so wie hier die drei arabischen Männer.

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