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Unter dem Titel „Ikonen der Flucht – Die neue Macht der Fotografie“ trafen sich in Köln im Rahmen der Photoszene 2016 die Fotografen Sybille Fendt, Nikos Pilos, Daniel Etter, Christoph Bangert, Peter Bialobrzeski mit den Herren Andreas Trampe vom Stern und Lutz Fischmann von Freelens, sowie Lars Boering vom World Press Award zum abendlichen Stelldichein. Aus den Vorträgen und der anschliessenden Debatte habe ich mir folgendes notiert.

Das Bild der fünfjährigen Ayla, die tot am Strand liegt, ist sicher DIE Ikone der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. Ein Bild, das die öffentliche Meinung beeinflusst hat und das bis in die Politik vorzudringen vermochte. Am 5.September 2015 öffnete Kanzlerin Merkel die Grenzen, und ein beispielloser Flüchtlingsstrom ergoss sich über Europa mit dem Ziel Deutschland. Der Grieche Nikos Pilos zeigt Bilder und bewegende Videos über eine Situation der Grenzschließung im Balkan und über den Tod im Meer. Er berichtet, er hätte auf der Insel Kos den Vater zweier Kinder interviewt, direkt 2 Stunden nach deren Tod durch Ertrinken. Dieser stand verständlicherweise komplett unter Schock. Aber auch der Fotograf war von der dramatischen Situation, die er dokumentierte, sehr mitgenommen und stellte sich selber die Frage, wie man mit den Bildern im Kopf umgeht, um diese verarbeiten zu können und um weiterleben zu können. Keine leichte Frage, Ikonen hin oder her.

Weitere sich zur Ikone eignende Bilder werden erwähnt, so die Bilder von World Press Award Preisträger Warren Richardson. Ein Flüchtling reicht sein Kind durch einen Stacheldrahtzaun bei Nacht. Pulitzer-Preisträger Daniel Etter, der seine Praktika bei James Nachtwey und Seven absolviert hat, zeigt nun sein Gewinner-Bild, eine Foto-Ikone, die viele Menschen auf Titelbildern oder im Internet gesehen haben. Es zeigt einen Mann, der beim Betreten festen Bodens nach nächtlicher Fahrt über das Meer ein Kind auf dem Arm hält und von Gefühlen überwältigt weint. Ein Bild mit einer einfachen Lesbarkeit und schneller Zugänglichkeit für den Betrachter, was es auch zu einem sehr oft mißbrauchten Bild gemacht hat. Daniel Etter zählt die einzelnen Fälle von Bild-Mißbrauch auf, wobei er betont, wie unkontrollierbar das Phänomen für ihn als Autor des Bildes ist. Eine einmal in die Welt gesetzte Fehlinformation ist fast nicht mehr korrigierbar. Schmuggler hatten ihm erzählt, die Familie käme gar nicht aus Syrien. Im Irak wurde sein Bild von Demonstranten hochgehalten. In Marokko verbreitete sich das Gerücht, Kanzlerin Merkel hätte dieser Familie persönlich geholfen. Auf Facebook kursierte das Gerücht, die Familie hätte 536,067 € gewonnen. Dann wurde das Bild in anderem Zusammenhang in Kanada verwendet. In den USA dachten manche, die Familie sei aus Mexiko und hätte den Rio Grande überquert. Das Bild wurde als Propaganda gegen Donald Trump verwendet. Ich mache zu Hause mal den Test, ob sich das Bild von Daniel in diesem Zusammenhang im Netz finden lässt. Doch unter „mexican refugees rio grande“ finde ich es bei Google auf Anhieb nicht, obgleich ich erschüttert bin, was ich da für Bilder zu sehen bekomme und verstehe, wie es zu einer visuelle Ähnlichkeit kommen kann.

Jedenfalls ist eine der Schlussfolgerungen dieses Bild-Ikonen-Mißbrauchs, daß unser eigener kultureller Kontext und unsere eigene individuelle Erfahrung sich wie ein Schleier über ein Bild legen und ihm so einen anderen Kontext verleihen können. Oder ist das nicht immer der Fall? Ist das nicht beim Betrachten jedes Bildes so? Die auf dem Bild dargestellte Familie jedenfalls ist schon wieder im Irak, von wo sie auch aufgebrochen ist.
Das hat Daniel bei der Aufnahme vor Ort erfahren. Gut. Aber wenn man dieses Bild an ganz unterschiedlichen Orten unterschiedlichen Menschen zeigen würde, was würde dabei herauskommen? Wenn man es einem jungen Somali, einer 29-jährigen Österreicherin und einer alten Frau in den Anden zeigen würde, was würde sie darin sehen? Wahrscheinlich würden alle als erstes erkennen, dass es sich um eine Vater handelt, der sich um seine Kinder sorgt und der weint. Gefühle sind universell und von jedem lesbar. Aber ob es sich dabei um eine Schiffskatastrophe handelt, um Bootsflüchtlings in Australien oder eine Überschwemmungskatastrophe im Donau-Delta, das würde wahrscheinlich jeder so interpretieren, wie er es kennt oder sich vorstellen kann. Dass eine Österreicherin im Bild Flüchtlinge am Mittelmeer erkennen würde, liegt in diesem Zusammenhang sicher daran, dass derartige Bilder gegenwärtig eine starke Medienpräsenz haben. Aus der Sicht des Reporters oder Fotojournalisten, sowie aus Sicht ethisch moralisch verantwortungsbewusst handelnder Bildredakteure bei einer großen Zeitschrift, würde man jetzt den enormen Wert einer korrekten Bildbeschriftung hervorheben, die ja auch Teil der Arbeit an einem Bild ist und die sehr gewissenhaft erledigt werden muss.

To be continued

Das ist „Like a Coat of rain“ von Björn Göttlicher!

 

Mädchen beim Selfie. ©Göttlicher

 

Als Fotograf und aufmerksamer Beobachter mache ich mir meine Gedanken zur Geschichte der Fotografie und dem Moment, in dem wir uns befinden. Hier an dieser Stelle soll es um die Bilderflut gehen und um die Möglichkeiten, die Fotokünstlern gegeben sind, sich damit auseinanderzusetzen.

Als ausgebildete Fotografen (ich spreche für mich und andere) sehen wir uns selbst nicht gerne als Teil der Bilder produzierenden Masse, obwohl wir uns sehr wohl bewusst sind, dass die Qualität, auf die wir so viel Wert legen, zunehmend von weniger Menschen wahrgenommen und wertgeschätzt wird. An ihre Stelle tritt die visuelle Flut, die Überflutung in allen Bereichen des Lebens, die uns sogar bis nach Hause verfolgt. Die Bilder haben sich längst gegen uns gewandt und das ist ein Konflikt, so unaussprechlich und schwierig er auch sein mag. Früher ging man zu Fotografen, um sich fotografieren zu lassen, heute hat man die Kamera immer dabei und unsere Bilder kommen zu uns. Es ist an der Zeit, sich Gedanken zu machen über Strategien der Resistenz, will man die Kamera nicht bewusst beiseite legen.

Fotografin am Meer. ©Göttlicher

Früher war es die geistige Elite der Priester, die die Bilder herstellte. Dann kamen die Künstler, die es in deren Auftrag taten. Zu Beginn der Fotografie war die Handhabung der Technik sehr kompliziert und Spezialisten überlassen. Im Jahre 1889 entwickelte George Eastman den viel zitierten Spruch „you press the button, we do the rest“, womit der Demokratisierung der Fotografie Tür und Tor geöffnet wurde. Als erstes fotografierten die Menschen im privaten Bereich, bei Festen oder Hochzeiten und machten sich extra dafür schick. Heute sind wir alle Fotografen, Bild-Produzenten und Konsumenten. Nie war es leichter, Fotograf zu sein, nie war weniger schulische Ausbildung dafür vonnöten. Das Ergebnis ist, dass von mehr als 7 Milliarden Menschen mehr als 2 Milliarden ein Smartphone besitzen und viele damit auch eine Kamera.

Auf Facebook werden jede Sekunde circa 3000 Fotos hochgeladen. Das entspricht 350 Millionen Fotos täglich. Insgesamt wurden bislang mehr als 250 Milliarden Fotos auf Facebook hochgeladen.

Instagram hat weltweit 400 Millionen User, 9 Millionen davon sind Deutsche. Diese User bislang etwa 40 Milliarden Fotos hochgeladen, das bedeutet etwa pro Tag 80 Millionen (eine andere Quelle spricht von 20 Mio). Wie viele Fotos täglich auf Flickr hochgeladen werden scheint da irrelevant, auch weil dieser Service demnächst kostenpflichtig wird, und sich da die User abwenden könnten, denn nur was umsonst ist, ist auch gut. So sieht es ja die Mehrheit der Fotografen, obgleich sie diese visuelle Freiheit des Hochladens von Food-Porn oder Strand-Füßen mit dem Verlust der Freiheit im Netz erkauft hat. So oder so kommt es zur Bild-Verschmutzung, zur visuellen Verstopfung.

Fotograf im Stadion ©Göttlicher

Ein Künstler hat einmal ausgerechnet, dass bei der Menge an Bildern, die pro Tag hochgeladen werden, ein Mensch 49 Jahre brauchen würde, um sie sich anzusehen. Absurd, denn natürlich sind diese Bilder ja nicht an nur einen Menschen gerichtet. Dennoch, wir haben heute alle mehr Bilder gesehen als unsere Vorfahren in ihrem ganzen Leben. Macht es da wirklich Sinn, weiterhin Bilder zu machen ? Ist es nicht die Abstinenz, die jetzt wichtig ist ? In einem Moment sensibler Reflexion würde doch jeder von uns zu der Erkenntnis gelangen, dass es viel wertvoller ist, einen Sonnenuntergang am Strand bewusst zu geniessen, als ihn wie alle anderen auch mit dem Smartphone einzufangen und sogleich hochzuladen, nur um ihn der schon existierenden Masse an Sonnenuntergängen hinzuzufügen, oder etwa nicht ?

Betrachtet man aufmerksam die Handlungen der Menschen, so fällt einem auf, dass sich das Handlungs-Schema von Zuschauern völlig gewandelt hat. Während noch vor 10 Jahren Zuschauer einfach Zuschauer waren, so sind sie heute allesamt Teilnehmer und fotografieren mit dem Smartphone über den Köpfen der anderen hinweg. Die digitalen Bildschirme haben die Menschen verwandelt, sie werden zu Spiegeln ihrer Existenz. Das Fotografieren einer Situation ist wie das „Nicht-an-ihr-Teilnehmen“ geworden, da sich die fotografierende Masse zunehmend passiver verhält. Hier ergeben sich künstlerisch-paradoxe Szenen für aufmerksame Beobachter. Es kommt zu Fotos von Menschen, die sich beim Fotografieren fotografieren. Es kommt zu ungewohnten Gruppenportraits von fotografierenden Fotografen, die alle auf ein Motiv starren. Dieses kann vielleicht ein Modell sein, ein Promi oder ein Rockstar, seine Bedeutung ist aber herabgesetzt. Es geht nicht mehr um das Motiv, es geht um die Teilnahme, um das Dabeisein und es Dokumentieren im Sinne des Narzis, wobei das Motiv nurmehr der Grund dafür ist, der Anlass.

Meine Serie „Amadeus Garden“

Man sollte mal zählen, wieviele Menschen auf Gruppenaufnahmen fotografieren. Da kommt der Archivar ins Spiel, der Künstler, der dem Ganzen eine neue Ordnung verleihen will. Der Künstler, der sich dann die Mühe macht, die fotografierenden Menschen zu zählen oder zu klassifizieren oder zu verfolgen, da sie sich für ihn zum Motiv entwickeln. Arme Welt ! Aber vielleicht ist genau das eine neue Tendenz in der Fotokunst, das Massifizieren, das Sammeln, das Archivieren. Genau wie in den 90ern das Vergrößern die Mode war. Alles wurde in der Fotokunst riesengroß, ich nenne Thomas Ruff mit seinen Portraits als Beispiel. Die Sammlung als eine Art Hyper-Akkumulation. Die Masse als Grund, das sich der Betrachter dafür interessiert. Viele Künstler fotografieren jetzt Objekte in Museen ab, von klein zu groß, von verstaubt zu vergrößert. Eine neue Form, Ordnung in die Welt zu bringen mit Hilfe der Fotografie. Sammlungen von Objekten werden so zu Ready Mades im Sinne Duchamps. Das Kuriositätenkabinett als Archiv, geordnet nach neuen visuellen Kategorien, wie Form, Farbe, Größe.

Sammlungen von Objekten werden so zu Ready Mades im Sinne Duchamps.

Alles Fotografen heute ©Göttlicher

Objekte bekommen so eine neue Bedeutung, wenn sie erst gesammelt werden und dann mit einer Erklärung versehen. Wie die Bilder der Molotov Cocktails von Donald Weber. Einfach vor weißem Grund abfotografiert als Objekte. Bier- und andere Flaschen mit brennbaren Tüchern darin. Verwendet auf dem Maidan bei den Demonstrationen in der Ukraine. So wird die Erinnerung der Objekte zum Ausdruck des Protestes. Andere Beispiele für das neue Arbeiten mit existierendem Bildmaterial ist das Werk von Penelope Umbrico, Sunset, wo die Künstlerin Unmengen an Sonnenuntergängen von Flickr zusammengestellt hat oder Erik Kessels Projekt Black Dog, wo der Künstler in sehr witziger Weise alte Familienbilder darstellt, der er gefunden hat und in denen immer wieder ein schwarzer Hund abgebildet ist, der möglicherweise zur Trennung des Paares beigetragen hat, weswegen seine Bilder schließlich im Müll landeten.

Obgleich man sich mit gesundem Menschenverstand manchmal fragen mag, welcher Sinn darin liegt, 250.000 unzusammenhängende Bilder zu machen (so wie das ein Künstler macht, deren Name mir grade nicht einfällt) oder Sonnenuntergänge zu sammeln, wie Penelope Umbrico. Will die Künstlerin Aufmerksamkeit erregen für die Bilderflut ? Ich denke, sie hatte Spass dabei und will den Menschen nur die Möglichkeit anbieten, für sich selbst zu Hause schöne Selfie-Hintergründe zu basteln, wenn man mal nicht in den Urlaub fahren kann. Denn wer verbietet es einem, ihr Werk nachzubauen, wo sie selbst als Künstlerin ja auch keine Probleme hat mit dem Verwerten von Bildern anderer, die damit aber allesamt einverstanden waren (ohne es zu wissen).

Göttlicher in einer Camara Obscura ©Göttlicher