In einem beliebten Café in Bamberg stand auf der Speisekarte zu lesen: „Sie wollen ihren Kaffee mit Fair Trade Cafébohnen genießen? Gegen 50 Cent Aufpreis bereiten wir Ihnen den gerne zu.“
Meine Begleiterin neben mir am runden Tisch echauffierte sich: „Was für eine Dreistigkeit. Das finde ich ganz schön arrogant. Die lassen dir die Wahl. Wenn du dich, ich sag das jetzt mal so, für fairen Kaffeeanbau einsetzen möchtest, kannst du das gerne tun. Uns ist es scheißegal.“
„Eigentlich ein sehr schlechtes Konzept, das so an den Kunden zu transportieren“, gab ich zurück. „Damit erreichst du doch eigentlich nichts anderes, als dem Kunden klarzumachen, dass du dir über die Zukunft des Planeten keine Gedanken machst. Im Gegenteil, du bist sogar arrogant und fügst hinzu, dass es dich nicht stört, wenn die anderen sich Sorgen machen.“
In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass es stets die Aufgabe des Chefs sein sollte, sich seine Gedanken zu machen über das Konzept, das nach außen dein Bild (der das deiner Firma) repräsentiert. Und das gilt meiner Meinung nach gleichermaßen für ein Café, wie für, sagen wir mal, den Autoren eines Buches. Weil ein Autor sich absolut mit dem Gefühl herumschlagen muss, das seinen Leser beschleichen könnte. Der Leser legt ein angefangenes Buch weg, weil ihm Details mißfallen. Damit ist es durchgefallen. Der Zuschauer einer Serie schaltet diese aus und sieht sie sich nicht bis zu Ende an. Das ist der Albtraum eines jeden Autoren oder Drehbuchschreibers, doch bei der großen Menge an Unterhaltungsangebot kommt es leider häufig vor.
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Mir kommt der Thriller „Ghost Flight“ von Autor Bear Grills in den Sinn. Da gibt es eine Szene, in der stehen sich die Bösen und die Guten gegenüber. Die Bösen haben feuerspeiende Helikopter, die Guten fliegen in einem Luftschiff. In der Szene, die ich meine, wollen es die Bösen erreichen, dass die Guten ihre Route ändern, damit sie ihrer habhaft werden können. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, drohen die Bösen mit der Ermordung von Menschen. Das tritt dann auch ein. Die Bösen werfen Menschen aus dem Helikopter. Doch die Guten bleiben standhaft und ändern die Route nicht. Für den Leser ist diese Szene beinahe unerträglich. Sie kommt nahe an die Belastungsgrenze dessen, was auch dem wohlmeinendsten Leser zuzumuten ist.
Diese Szene ist wegen des Maßes an Grausamkeit, der an reale Ereignisse des Vietnamkrieges erinnert, oder zumindest an Szenen, die Filme in uns wachrütteln, Grund genug, das Buch wegzulegen. Die Szene steigert die Dramatik so weit, dass am Ende nur noch eine Person aus dem Helikopter geworfen werden kann, eine bis dato im Roman positive und beliebte junge Frau. Du als Leser denkst, wenn die jetzt auch noch geopfert wird, leg ich das Buch sofort weg. Doch der Autor ist nicht dumm, er begeht nicht diesen Fehler an seinem Publikum. Die Hauptdarstellerinnen überlebt.
Im Roman fällt dem Hauptdarsteller im letzten Moment ein Trick ein, um das Leben der jungen Frau zu retten.
In einer anderen Serie, die ich vor Jahren sah, als es noch kein Netflix gab, ist das passiert. Da starb die Vertraute des Hauptdarstellers auf so enttäuschende Art und Weise, dass ich Dexter nach vier gesehenen Staffeln nie mehr angerührt habe. In dieser Serie soll jetzt eine neue Staffel gedreht werden. Ohne mich.
Es war zu schlimm. Ein Weiterleben schien mir unmöglich. Für Dexter und für mich als Zuschauer. Aber Bear Grills in Ghost Flight begeht diesen Fehler nicht. Im Roman fällt dem Hauptdarsteller im letzten Moment ein Trick ein, um das Leben der jungen Frau zu retten. Und das ist Ausgewogenheit.
Im Buch Flow und Kreativiät erklärt der kanadische Schriftsteller Robertson Davies die Haltung eines Schriftstellers. „Es ist viel leichter, tragisch als komisch zu sein. Ich kenne Menschen, die sich an eine tragische Lebensanschauung klammern und sich dahinter verschanzen. Sie finden einfach alles entsetzlich und grauenvoll, und das ist nicht leicht. Wenn man sich um eine etwas ausgewogenere Sicht der Dinge bemüht, offenbart sich die ganze überraschende Vielfalt von komischen, mehrdeutigen und ironischen Aspekten des Lebens. Und diese Sichtweise halte ich für das Entscheidende bei einem Schriftsteller. Einen todtraurigen Roman zu schreiben ist relativ einfach.“
Diese Kritik von Robertson Davies gilt nicht nur für den literarischen Bereich, sondern weit drüber hinaus. Auch in der Kreativität an sich ist es leicht, bloßzustellen, zu entlarven, herabzusetzen, auseinanderzupflücken und zu rationalisieren, ohne echte Freude im Leben wirklich zur Kenntnis zu nehmen. All das macht uns aber blind für die wichtigste Botschaft, so der Autor des Buches, Csikszentmihalyi, die lautet: Kreative Menschen sollten Vermittler sein von Sinn und Freude im Chaos der Existenz.
„Ich will keine Arbeit sehen, die vielleicht unglaublich ist, aber nirgendwo hinführt.“ Ed Kashi
Der amerikanische Fotojournalist Ed Kashi, den ich für mein Projekt über die Ethik im Photojournalismus interviewen durfte, sagt dasselbe im Gespräch, bezogen auf die Art, wie guter Journalismus gemacht werden sollte. „Ich will keine Arbeit sehen, die vielleicht unglaublich ist, aber nirgendwo hinführt. Es gibt zu viele Fälle, in denen bestimmte Projekte enorme Auszeichnungen erhalten, aber sie tragen nichts zum Dialog über dieses Thema bei oder weisen auf irgendeine Art auf eine Lösung hin. Und für mich ist das an diesem Punkt nicht genug. Ich nehme an diesem Spiel nicht nur aus persönlichem Ruhm oder Gewinn teil. Ich möchte Projekte schaffen, die einen Unterschied machen. Und das geschieht, indem ich ein Thema oder ein Problem finde und es durch meine Fotografie und visuelle Erzählung beleuchte, aber dann auch eine mögliche Lösung hervorhebe, einen Weg zur Verbesserung dieser Situation.“
Und das gilt auf eine bestimmte Art auch für ein Bamberger Café, das eine Vorreiterrolle haben könnte, was Kaffeegenuß und -Konsum angeht. Anstelle es dem Kunden hinzuschieben und zu sagen, hier, mach du, wenn dir Fair Trade etwas bedeutet. Man könnte zum Beispiel den Ort des Kaffeehauses nutzen, um die Geschichte eines Kaffee-Bauern zu erzählen, um über fairen Handel nachzudenken und so die Gäste ermuntern, sich selber zu engagieren.
Es ist ein weiter Weg von der unkritischen Konsumhaltung zum selbständigen Denken und Handeln, aber gehen sollten wir ihn alle.
Zusätzliche Informationen:
Website: www.doubtingphotographer.com
Questions about ethics in photojournalism Today we know that it is the images that create reality. The work „a doubting photographer“ takes the reader on a journey to the questions of ethics in photojournalism, photography and the media.
Facebook: https://www.facebook.com/adoubtingpho…
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