
Werk von Joan Fotcuberta im öffentlichen Raum in Barcelona. Das Bild mit dem Kuss zweier Frauen besteht aus Tausenden Einzelbildern und dient vielen Touristen als Selfie-Hintergrund.
Einen Künstler, der mit Fotografie arbeitet, treibt häufig der Gedanke um, alles sei schon getan. Alles sei schon fotografiert, alles sei schon gesehen, nichts ist wirklich mehr neu oder originell. Gibt es einen Weg aus diesem Dilemma ?
Der Künstler Joan Kenning gibt in seinem Video Vermödalen – The fear that everything has already been done eine Antwort, die vielleicht weiterhilft: Ja und nein. Die Bilder, die von uns Menschen produziert werden, handeln von dem, was wir tun. Sie handeln von unseren Familien, von unseren Festen, von unseren Gesichtern, von unseren Füssen am Strand. Sie handeln vom Blick aus dem Flugzeug, von geliebten Menschen oder von was auch immer. Dabei gilt es festzuhalten, dass die Menschen sich durchaus ähneln in dem, was sie machen, in der Art, wie sie lachen, aus dem Fenster schauen oder ihre Füsse ans Wasser halten.
Das ist einfach so, und die Bilderwelt, in der wir leben, zeigt es uns jeden Tag aufs Neue. Doch dabei sind die Menschen auch genauso individuell, unterschiedlich und verschieden, ebenso wie Schneeflocken, die herabrieseln und bei denen auch keine der anderen gleicht, auch wenn es alles Schneeflocken sind.
Ebenso sind unsere Bilder verschieden, sie gleichen sich zwar von den Motiven her, aber verschieden sind sie doch. Zum Glück für uns sind wir wie die Schneeflocken und der Reichtum der menschlichen Rasse liegt genau darin. Bitte mich jetzt nicht falsch verstehen, ich habe heute Nacht nicht Paulo Coelho gelesen und keiner muss jetzt auf Pilgerfahrt. Das sind vielmehr Gedanken, die Fotokünstlern gekommen sind, die sich viel mit Bildern beschäftigen.
Als die Fotografie im Jahre 1839 erfunden wurde, galt das neue Medium noch als Wahrheit, als eine eins zu eins Übersetzung der Realität, die die Welt repräsentierte.
Bis dato war es die Malerei, die ja für ihren subjektiven Gestus bekannt war. Eine Hand hielt einen Pinsel an eine Stelle auf einer Leinwand und so entstand nach und nach ein Abbild, das mit der Realität oft wenig zu tun hatte, das sahen auch die Zeitgenossen damals so.
Die neu entdeckte Maschine, also die Fotografie, ersetzte die Technik des Malens, das langsam und ungenau war. Was fotografiert wurde, existierte. Was sich vor der Kamera befand, war real. Heute sehen wir die Beziehung der Fotografie zur Realität kritisch. Wir haben erkannt, dass das Medium Fotografie durchaus in der Lage ist, sehr subjektive Standpunkte zu vertreten. Kaum einer wird heute noch behaupten, die Fotografie sei wirklich ein Abbild der Realität, wenn doch, klicken Sie bitte hier!
Die Rolle des Realitätsvermittlers hat heute, z.B. Google übernommen. Somit hat Google von der Fotografie die Aufgabe übernommen, uns die Realität zu zeigen. Was in Google nicht auffindbar ist, lässt uns leicht an dessen Existenz zweifeln. Das sind die metaphysischen Auswirkungen der Zeit, in der wir leben. Die Sensation unserer Existenz hängt ab von Algorithmen.
Gedanken zum Handeln des jungen Fotoreporters.
Der Künstler Joan Fontcuberta hat durch die Reflexion über das Mosaik, das schon bei den Römern Verwendung fand, den Weg zu Google gefunden und zu den Möglichkeiten, die sich durch Google für die Fotografie bieten. Während in der analogen Fotografie das Bild durch Licht auf Papier aufgetragen wurde, ähnelt die digitale Fotografie viel mehr der klassischen Form der Narration, in der viele kleine Teile zu einem großen Ganzen zusammengetragen werden. In der Geschichte der Malerei war das auch schon der Fall, man betrachte nur den Impressionismus oder den Pointillismus.

Joan Fontcuberta „The Con“
Der Entwickler Robert Silver erfand ein Programm zur Kreation des Photomosaics, bei dem er Fragmente des Bildes mit Bildern aus Datenbanken ersetzte und diese nach Analyse von Tonwert und Farbe zu einem neuen Bild zusammensetzte. Fontcuberta schließlich erschuf in seinem Werk etwas Besonderes, indem er bei seinen Kreationen mit dem Paradox der Gegensätzlichkeit arbeitet und seine Motive mit entgegengesetzten Worte und Begriffen auffüllen lässt.
Zum Beispiel das Bild eines Obdachlosen, unterlegt mit Tausenden von Bildern der reichsten Männer der Welt, in dem er beim Auffüllen in den Programm deren Namen als Stichwortsuche eingab. Sehr spannend. Ein bekanntes Bild von Abu Graib, „The Con“, unterlegte er mit den Bildern der Namen von Soldaten, die bei den Misshandlungen dabei waren. Das ist in meinen Augen auch eine Form von künstlerischem Aktivismus.
Hier geht es zu meinem Projekt über die Ethik „Like a Coat of rain“