Modell des Vergessens
Am 19.Juli 1936 begann auch auf Mallorca der spanische Bürgerkrieg. Die Anhänger der demokratisch gewählten Volksfrontregierung der zweiten spanischen Republik konnten sich nicht lange halten gegen die Faschisten unter General Franco. Bis dato war Mallorca eine friedliche Insel gewesen, doch von einem Tag auf den anderen brach auch hier unter dem blauen Himmel der Sommersonne eine Mordlust über die Menschen herein, deren langer Schatten bis heute spürbar geblieben ist.
Geschichten aus Spanien
„Damals schwiegen die Menschen aus Angst. Die Generation danach schwieg aus Scham und heute sagt man sich: Dir geht es doch gut. Warum willst du den alten Dreck aufwühlen ?“ fragt sich Maria Antonia Oliver, Vorsitzende der Associación de la Memória de Mallorca und gibt die Antwort gleich hinterher. „Auf der Insel wurden damals 1611 Menschen standrechtlich erschossen und kaum einer bekam eine faire Verhandlung. Aus der Sicht der Faschisten waren es Rebellen und Verräter, aus der Sicht der Menschen aber waren es Brüder, Väter oder Onkel. Jeder Name, der aus dem Dunkel des Vergessens gezerrt werden kann, macht uns froh und traurig zugleich!“
Maria Antonia, die den Kampf um die Erinnerung zu ihrem Lebenszweck erhoben hat, nachdem sie selbst Familienangehörige verloren hatte, erklärt den Zynismus, mit dem die Behörden damals vorgingen. Historiker wissen heute, dass die Faschisten Gefangene nach Ortschaften sortiert hinrichten ließen, oft unweit des kleinen Friedhofs von Porreres, wo Einschusslöcher in einer erhalten gebliebenen Kirchenwand davon noch Zeugnis ablegen. Den Familienangehörigen, die natürlich in Sorge waren ob des Schicksals ihrer Lieben, wurde nicht selten erzählt, diese seien freigelassen worden und hätten sich womöglich von der Insel abgesetzt. Das waren für die Hinterbliebenen die Auswüchse eines unbeschreiblichen Zynismus, wie er nur selten im Menschen hervorbricht und wie er in den Seelen der Menschen tiefe Wunden hinterlässt.
Insgesamt sind in Spanien etwa 114.000 Menschen in Massengräbern verscharrt worden und nur ein kleiner Teil von diesen wurde später geöffnet und untersucht. Warum geht man in Spanien mit der eigenen Geschichte nicht offener um ? Warum kann man das, was damals passiert ist, nicht aussprechen und dadurch auch verzeihbar machen, frage ich Maria Antonia in meiner protestantischen Naivität. Ihre Augen funkeln, als sie mir antwortet: “Nach dem Tod des Diktators Franco verwandelte sich das Land in eine Demokratie. Die herrschenden Familien machten einen Deal mit den Exil-Spaniern und den Sozialisten. Alles veränderte sich, damit alles beim Alten bleiben konnte.
Ein Pardon hat es gegeben, aber für die Falschen. Meine Mutter hat viel gelitten und nie hat sie jemand für erlittenes Unrecht um Verzeihung gebeten. Das ist der spanische Gesellschaftsvertrag und er funktioniert auch noch heute.“ Ihre Worte klingen unversöhnlich. Dennoch kommen gute Nachrichten. Anfang Oktober 2016 wurde das größte Massengrab Mallorcas, gelegen bei der Kirche Santa Creu in Porreres, von einem baskischen Experten-Team geöffnet. Auch wenn viele Familienangehörige nun schon verstorben sind, so bleibt doch die Hoffnung. Die Hoffnung auf die Namen derer, die nicht vergessen werden.